Europa per Rad - Die Reise im Rückblick


Es war keine Reise wie meine Bisherigen.
Sicher, der Zeitrahmen ist ähnlich, und die gefahrenen Kilometer liegen auch im Bereich des Üblichen. Trotzdem läßt sich die jetzige Reise mit den Anderen nicht im geringsten vergleichen.

Die bisherigen Reisen lassen sich fast ausnahmlos umschreiben mit "raus, weg, ausbrechen; Stille, Einsamkeit, Ursprünglichkeit; Leben minimal, Leben pur."
Die jetzige Reise kommt mir eher wie das genaue Gegenteil vor. Keine Reise glatt, geradeaus, untergetaucht, sondern geprägt durch eine endlose Aneinanderreihung von Extremen.

Massentourismus Spanien - Einsamkeit Skandinaviens - Massentourismus Adria / Italien;
Sauberkeit Skandinaviens - Müllhaufen Europas, Sizilien;
Leben in 'westlicher Hochzivilisation' - Leben in ehemals sowjetischen Staaten;
... um nur ein paar zu nennen.


Außerdem gab's noch eine ganze Anzahl von interessanten Erlebnissen / Auffälligkeiten.
Gerade diese verholfen der Reise erst zu ihrem besonderen Charakter.


Da ist z.B. die Sache mit den Kaffeepausen. Sonst unterwegs überhaupt kein Kaffeetrinker legte ich in Portugal mindestens zwei / dreimal am Tag nette kleine Kaffeepausen ein. Auf einem "südlichen Bogen" setzte es sich danach in Spanien fort und klang erst in Frankreich langsam wieder aus. Exakt das Gleiche wiederholte sich dann (zu der Zeit völlig unbewußt) am anderen Ende Europas: In Estland eingesetzt und erneut auf einem südlichem Bogen in den östliche Staaten und in Italien wieder ausgeklungen.

Oder die Sache mit der Kleinkind-Sprache. In Frankreich war mir bei einer Gelegenheit erst richtig bewußt geworden, daß 'Mama' und 'Papa' dort ebenfalls (wie bei uns) zu den ersten Wörtern von Kindern gehören.
Den Vorfall völlig vergessen wiederholte er sich exakt auf der anderen Seite Europas, in der Slowakischen Republik. "Mamitschka, Papa" rief dort das genervte Kind (verniedlichend) nach seinen Eltern. Von slowakisch sonst keinen blassen Schimmer fiel es mir besonders auf.

Weitere Gegenpol-Gemeinsamkeit?: Auf der "Europa - die Europäer"-Seite vermerke ich die außergewöhnliche Freundlichkeit der ländlichen Bevölkerung Portugals und Kroatiens. Geographisch nun wahrlich keine Nachbarn.

Zu einer Gegenpol-Gemeinsamkeit der ganz besonderen Art entwickelten sich Orkney/Shetland und Sardinien. Gegenpole auf der Nord-Süd-Achse fand auf beiden der totale Ausbruch aus meinen sonstigen Radreise- Gewohnheiten statt.
Beschreiben kann ich sie identisch:
- Insellage
- Gesehen von ihnen habe ich Nichts
- Aufenthalt nur im Hauptort
- Längerer Aufenthalt
- Auf der einen viel gelesen, auf der anderen viel geschrieben
- Einzige Unternehmungen: Spaziergänge zum Hafen und in den Ort
Alles in starkem Kontrast zu sonstigen Gepflogenheiten.
Im Rückblick wurden die beiden zu den großen Dreh- und Angelpunkten meiner Reise. [Etwas mehr zu diesen Beiden auf den Reiseberichtsseiten unter Sardinien und Orkney/Shetland.

Einen noch?:
Frage mich nach Städten die mir gefallen, und es schießen mir Helsinki und Lissabon in den Kopf. Weiter auseinander geht's nun wirklich nicht.
Bei weiterer Überlegung stelle ich mir eine Europa-Karte vor. Lissabon leuchtend am linken Rand und Helsinki am Rechten, ist sie ansonsten schneeweiß leer. Es dauert eine Sekunde, und Stromness/Lerwick und Cagliari beginnen zu glimmen. Die Orte auf Orkney/Shetland und Sardinien ...
Dann kann ich überlegen solange ich will, es kommt nichts mehr.

Dies war nicht einfach nur eine Reise. In Europa, um Europa, oder sonstwie.
Es wurde zu einer Entdeckungsreise.

Einer Entdeckungsreise nicht nur zu verschiedenen Landschaften sondern - mindestens genauso interessant - zu unterschiedlichen Menschen, verschiedenen Lebensweisen.
Wobei sich überraschenderweise immer wieder die interessantesten Gemeinsamkeiten zeigten - zwischen Völkern und Regionen die geographisch kaum weiter auseinanderliegen könnten.

So nicht geplant - gar nicht planbar - erwieß sie sich als solche.