Kanadas Westen
British Columbia - Yukon Territory


Eingetroffen bin ich in Victoria / Vancouver Island. Per Fähre aus Washington State. Wollte danach eigentlich auf Waldstrecken die Westküste rauffahren, bin dann aber im Tiefflug buchstäblich nach Port Hardy "raufgeflogen". Hatte was zu vergessen.
Auch die sonst so gerühmte "Inside Passage" gab mir nicht viel; Sie ging im Nebel unter. Erst in Prinz Rupert war ich wieder der Alte.
Super Wetter, super Stimmung, super Nachtplatz. Und natürlich die Vorfreude auf den Cassiar Highway. Endlich wieder Ruhe, Stille und Einsamkeit. Denn genau das werde ich dort jetzt - es ist erst der 2. Mai - finden.

Cassiar Highway
von: Kitwanga
nach: Junction 37
Entfernung: 746 Km
fast durchgehend asphaltiert
Versorgung: Km 145, Km 169 (Meziadin Jct.),
... Km 265 (Bell II), Km 310, Km 370 (Wilson Ridge Resort),
... Km 425 (Iskut), Km 510 (Dease Lake)
einfach zu fahren

... und dann stehst du oben - eingepackt in Pullover, zwei Jacken, zwei Hosen und Winterhandschuhe, einen arktischen Nordwind im Gesicht, und freust dich wie ein kleines Kind. Ein Wahnsinns Ausblick auf umliegende Zwei- und Dreitausender; tief unten der Fluß; der Creek neben dir plätschert leise; und sonst nichts als Stille. Einfach nur Stille. Zehn Minuten des stillen Genießens.
Dann ist wieder das Surren der Reifen zu hören.

Ist ein grandioses Land

Wolf (?)
teils gefrorener See
türkisfarbener See


Am Ende des Cassiar Highways erwartet einen dann

das Yukon Territorium
und der berühmte Alaska Highway.

Der Alaska Highway - für viele Radler eine der Traumstraßen.
Ich selber kann ihm allerdings nicht sehr viel abgewinnen. Mittlerweile weitgehend zu einer breiten Hauptstraße ausgebaut und von jeder Menge Touristen überlaufen, ist von seinem "Flair", seiner Einmaligkeit als kurvigem schmalem Schotter- und Asphaltband in den hohen Norden nichts mehr übrig.

Aus dem Grund bin ich auch gleich wieder abgebogen und den Campbell Highway gefahren.

Campbell Highway
von: Watson Lake
nach: Carmacks
Entfernung: 588 Km
komplett Schotter
Versorgung: Km 362 (Ross River); 10 Km abseits
... Km 414 (Faro); 10 Km abseits
nicht einfach


Stehe in der offenen Hütte und schaue an Bäumen vorbei und über Sträucher hinweg auf den See hinaus. Ist Wind aufgekommen. Leichte Wellen zieren den zuvor glatten See. Von der Seite her wärmt mich der gußeiserne Ofen den ich mir angezündet habe.
Irgendwo draußen auf dem See hör ich einen Vogel landen. Fängt an in den schönsten Tönen zu rufen. Dazu ein paar Kröten am anderen Ufer und das gelegentliche Knistern des Feuers neben mir. Dann und wann schnappt ein Fisch nach Luft.

Stille
Welch eine Friedfertigkeit.

Ich steh' stundenlang da, schau einfach nur auf den See hinaus, hör zu.

Die Wolken haben sich verzogen. Durch das dunkle Geäst der Bäume spiegelt sich eine strahlend helle Sichel im von Nebelschwaden verzauberten See. Nur das Gequake der Kröten ist noch geblieben.

Als der Vogel mit dem wunderschönen Rufen wieder anfängt legt sich auf mein Gesicht ein Ausdruck, den es nicht mehr gibt. Vollkommene Harmonie und Zufriedenheit.

Radelnd auf'm Campbell Hwy.
Abendstimmung am See
Porcupine
Schild: Ross River


Von Carmacks bis zum Abzweig des Dempster Highways fährt man ebenfalls durch schöne Landschaft. Da die Strecke aber asphaltiert ist und man auch in regelmäßigen Abständen (etwa alle 100 Km) Lebensmittel bekommen kann, möchte ich hier nicht näher auf sie eingehen.
Ist eine schöne Strecke um es einfach mal rollen zu lassen. Gemütlich, gemächlich, interessant.


Dempster Highway
Bei diesem Wort schrillen bei den meisten Radlern die Alarmglocken. War das nicht diese katastrophale Piste irgendwo weit in Kanadas Norden ? War das nicht eine 700 Km lange Sackgasse, wo man den gleichen beschissenen Weg auch noch wieder zurück muß ?
Genau.
Während die Mehrzahl der Radler relativ gut durchkommt sind es gerade die Schauergeschichten der Anderen, die dem Dempster zu seinem Ruf als eine der abenteuerlichsten Strecken überhaupt verholfen haben.
Was dran ist, an den Schauergeschichten ? Hier meine Eindrücke:

Auszug aus Kurzform-Tagebuch: am Anfang des Dempster
29.05.:
Bin am Klondike River Lodge. Wie mir gesagt wird, sind die Fähren über den Peel River und Mackenzie River noch nicht in Betrieb. Soll aber am Freitag was werden. (Heute ist Mittwoch).
Weils so schönes Wetter ist fahre ich noch wieder los. Absolut überragende Landschaft!! Schöner geht's nicht. Die Piste an einer Bergflanke entlang mit Aussicht ins Tal und auf's gegenüberliegende Gebirge! Fahre noch bis zum Tombstone CG. Sind 72 Km. Aber je länger ich fahre, umso mehr zieht es sich. Als ich endlich ankomme bin ich völlig fertig. Da nutzt auch die großartige Landschaft nichts. Es ist Mitternacht. Oder auch 1 Uhr oder 2 Uhr. Bau mein Zelt auf, koche mir 'ne große Ladung Nudeln, und dann nix wie ins Bett. Jetzt schau ich auch mal auf die Uhr. Halb drei. Draußen immer noch hell.
30.05.:
Werd' gegen 8 Uhr wach. Mach mir nur schnell 'ne heiße Milch und dreh mich um. Zu kalt, zu müde. 10 Uhr. Na gut, aufstehen. Gutes Frühstück muß nach der Mammutetappe gestern sein. Tee, heiße Milch mit Müsli, Stullen. Trotzdem sind die Gelenke noch wie am Schlafen. Piste in Ogilvie Mountains Wollen einfach nicht recht. Mühsam den Paß rauf. Doch auch danach - lange lange bergab - will's nicht werden. Der Körper funktioniert wie mit angezogener Handbremse. Aber immerhin, es geht vorwärts. Irgendwann Entscheidung: o.k., gehen wir das Ganze doch einfach relaxed an. Und es funktioniert. Werde zwar nicht schneller, eher langsamer, aber der Kraftaufwand schrumpft merklich. Zum erstenmal überhaupt habe ich mir übrigens während einer Tagesetappe was zu Essen gekocht. Gar keine schlechte Erfahrung! Abends auf'm Campground (Engineer Creek) gibt es dann nochmal ordentlich was zu beißen. Nudeln, Tee, Milch, Brot.
31.05.:
Engineer Creek CG Geht bißchen zäh aber flüssig. Wirklich interessant wird es ab Km 247. Es geht 9 Km stramm bergauf. Ab da grandiose Aussichten rechts und links. Die Piste ist 'ne Kammstraße und verläuft ausschließlich über die jeweils höchste Stelle. Was das Ganze zu 'ner Hügel auf - Hügel ab - Fahrt werden läßt. Trotz des ganzen Auf und Ab schaffe ich es bis kurz vor Eagle Plains. Da es schon 22 Uhr (oder auch 22.30 Uhr) ist, campe ich in 'ner großen Gravelpit etwas Abseits der Straße.
War's die letzten Tage schon kaum über Null, fällt die Temperatur jetzt rapide. Nur wenige Sekunden ohne Handschuhe und meine Finger werden bereits steif. Das Zelt kann ich nur unter größter Mühe aufbauen.
Übrigens hab ich heute drei Bären gesehen. Den ersten zwischen zwei Gravelhaufen als ich gerade stoppe. Mein Bremsgeräusch verscheucht ihn aber. Den zweiten (rechts neben der Straße am futtern) mache ich mit einem Pfiff auf mich aufmerksam und nach kurzer "Registrierpause" rennt er ins Gebüsch. Der Dritte sieht mich bevor ich ihn sehe und rennt etwa 200 Meter vor mir die Straße entlang. Bleibt zweimal stehen und dreht sich um, ob ich noch hinter ihm bin. Nach dem zweiten Mal hält auch er Richtung Busch. Alle waren Schwarzbären. Was sonst noch? Vögel. Hasen hab ich auf'm Campground en masse gesehen. Heute dafür meinen ersten Schneehasen! Ach ja, Erd- und Eichhörnchen gibt's auch hier oben noch.
02.06.:
In Eagle Plains. Da die Fähren nach wie vor noch nicht eingesetzt sind, bleibe ich. Abends mit Koch und Gordo und dem "Azubi" kleine Party im Sauna-Wagen.
03.06.:
Lese viel. "Mad Trapper" und höre CD. Abends zwei Videos auf HBO.
04.06.:
CG am Morgen Wetter sehr gut. Um 10 Uhr Frühstück. Um 11 Uhr noch 'ne Doppelladung Toast obendrauf. Gegen 12 Uhr los. Steil runter zum Eagle River. Danach ist's insgesamt eben. Halt nur Hügel rauf und runter. Zwischen zwei schweren Gewittern durchgeschlüpft. Polarkreis. Landschaft einzigartig. Plains, rechts von den Richardson Mountains begrenzt. Die Berge leicht schneebedeckt. Herrlicher Anblick. Besonders, da dieser oder jener Teil immer mal wieder durch zum Teil schwere Regen- und Hagelschauer hinter 'nem grauen Schleier verschwindet.
05.06.:
Anstrengender Tag. Aber zum Teil mit herrlicher Landschaft!
Hat über Nacht gut geschneit. Gordo hat mich am Morgen mit Infos bezüglich Strecke und Fähren versorgt. Es liegen, als ich losfahre, 15 cm Schnee. Nur die Spuren von zwei Autos sind zu sehen. Die ersten paar Kilometer versuche ich möglichst nah am Pistenrand zu fahren. (Durch Stangen alle paar Meter markiert). Wechsel dann jedoch in die Spur. Geht (zumindest meistens) einfacher. Arbeite mich dann den Paß rauf. Es liegen stellenweise 40 cm Schnee auf der Piste. Wenn ich mal aus Balancegründen aus der Spur muß, oder die Spur wechsel, darf ich mich durch diese Schneemassen wühlen. Zum Glück leichter, loser Schnee, so daß ich ohne allzu große Probleme durchkomme. Meine Reifen sinken dabei ein und meine beiden tiefen Wasserkanister betätigen sich als Schneeschieber.
'letzte Aufnahme' Kamerabatterien platt (zu kalt), der Sturm nimmt zu (Stärke 6 oder 7), Piste total zugeschneit. Kurz vor der Paßhöhe kommt mir ein Wagen der Yukon-Roadmaintenance entgegen. "Wie weit ist es noch?" "Fast da." "Wie sieht's drüben aus?" "Viel Schnee und naß." "I'll make it!". Bis über den Paß bin ich noch im Schneegestöber gefahren. Nach der Paßhöhe (=Grenze) geht's in eine Art hügeliges Plateau. Da es aufklart und die Sonne rauskommt hab ich einen herrlichen Ausblick auf die umliegenden Berge. Und alles in total weiß. Dann kommt ein Posten der NWT- Roadmaintenance. Und dann? über einen zweiten Paß! Recht steil und wesentlich höher als der erste! [Zumindest dem Gefühl nach!!] Hat mir keiner was von gesagt! Zwar ist die Piste überwiegend schneefrei, dafür aber unheimlich naß und weich. Läßt sich enorm schwer fahren. Zudem ist die Lufttemperatur -5 Grad. Resultat: der ganze feuchte Dreck der Piste spritzt hoch, gefriert schlagartig am Fahrrad und setzt Alles zu! Aber wirklich Alles! Sobald ich die Bremsen einige Minuten nicht gebrauche: eingefroren; unmöglich zu bremsen. Zeitlang nicht schalten: Schalthebel eingefroren. Dazu setzt sich die Kassette vollkommen zu. Irgendwann reinige ich mal die Kassette damit ich wenigstens die beiden größten Ritzel von den 7 nutzen kann. Geht 10 Minuten gut; dann hab ich wieder nur das Größte zu Verfügung. Durch die Schalterei vorne bleiben die meiste Zeit über zumindest das 28er und das 44er Ritzel halbwegs funktionstüchtig. Trotzdem passiert es auch hier immer wieder, daß das jeweils andere mit Dreck zufriert und beim Wechsel auf dieses die Kette die ersten 30 Umdrehungen fleißig übersetzt.
Je länger ich fahre, desdo mehr Dreck sammelt sich unter den Schutzblechen, den Bremsen etc. an und friert fest. Das Fahren wird immer schwieriger. Hab nur keine Lust mehr schon wieder 15 Minuten darauf zu verwenden, mit der Gabel alles Eis loszupicken. Mühe mich also langsam weiter. Bis ich beim Middleway Lake Gebäude sehe. Halte es für ein Camp der NWT-Roadmaintenance. Ist aber der Rest eines Musikfestes von 95. Find eine noch intakte Hütte. Sie wird zu meinem Nachtlager auserkoren. Bei Riesenladung Nudeln und Kaffee (der Kocher wärm nebenher recht gut) geht's gleich wieder Klasse. Während ich dies schreibe, wird nochmal 'ne schöne heiße Tasse Tee mit 'nem Schuß Milch aufgelegt, dann wird's wohl ins Bett gehen.
War 'n verdammt harter Tag. Draußen sind's minus 15 Grad.
06.06.:
Wache gegen 8 Uhr auf. Überlege liegenzubleiben und auf Morgen zu warten. Es ist selbst in meiner Hütte -5 Grad. Drehe mich nochmal um. Aber nicht lange. Die Sonne draußen scheint sehr verlockend. Ich sehe sie durch Ritzen hereinscheinen. Dann mach' ich mir 'nen Kaffee und 'ne Reihe Stullen (4). Hab noch Wasser über. Schieb noch 'ne heiße Tasse Milch mit nochmal Stullen nach. Und schäl' mich aus dem Schlafsack. Ist garnicht so kalt wie ich dachte. Die Sonne wärmt recht gut. Allerdings nicht genug um meine Schaltung wieder in Gang zu bringen.
Geht bergab. Zum Teil fantastische Aussichten! In Rauschfahrt hinab zum Peel River. 2 Km bevor ich da bin gibt's 'n Platten. Gewaltiges Loch im Schlauch. Schlimmer: Durch das Geschrappe am Eis auf der Schutzblech-Innenseite ist vom Mantel nicht mehr viel übrig. Hat an zwei Stellen sogar schon das Geflecht weggescheuert. Der Schlauch schaut durch !! Fahre dann nur noch bis zur Fähre, rüber und auf den Campingplatz nahebei. Mantelwechsel.
Fähre: sind noch dabei, den "Landungsplatz" mit Schotter aufzufüllen. Aber schon soweit, daß die Fähre einsatzbereit (zumindest gelegentlich) pendeln kann.




Dempster Highway
von: Klondike River Lodge
nach: Inuvik
Entfernung: 736 Km
komplett Schotter
Versorgung: Km 371 (Eagle Plains)
... Km 553, Km 609
schwer zu fahren

hübsche Pflanze
INUVIK :
Sitzt im Cafe, vor dir 'n heißer Kakao, studierst Karten. Irgendwann macht's zu, du gehst zurück zum Zelt; liest noch ein wenig, kramst noch mal die Karten raus, und ... "das ist ja noch so hell draußen. Wie spät haben wir's eigentlich?" ... Ein Blick auf die Uhr verrät dir ... 3 Uhr Nachts.
Drei Uhr Nachts und Sonnenschein.


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